Hamburg, 16. Juni 2022. Nach mehr als zwei Jahren Pandemie ist es nicht mehr selbstverständlich, sich zur Begrüßung die Hand zu geben. Den Impuls dazu spüren wir aber immer noch. Manche sehnen den Handschlag regel-recht zurück – und praktizieren ihn schon wieder regelmäßig.
Deshalb befinden wir uns momentan oft in einem Dilemma. In unserem Kul-turkreis ist es üblich, einer anderen Person zur Begrüßung die Hand zu rei-chen. Bedingt durch die Pandemie gilt es heute allerdings eher als höflich, erst einmal abzuwarten und zu schauen, ob das Hand geben auch dem Be-dürfnis unseres Gegenübers entspricht. Das verunsichert viele.
Zu Beginn der Pandemie haben wir krampfhaft nach anderen Begrüßungs-formen gesucht. Vom „Ellenbogen-Check“ über den „Fist-Bump“ und die Be-grüßung von Fuß zu Fuß bis zu „Namasté“ war alles dabei. Der Mensch braucht offenbar entsprechende Rituale. Sich die Hand geben signalisiert eben auch: Wir kommen in friedlicher Absicht, ohne Waffen. Der Handschlag hat in unserer Kultur einen großen Stellenwert. Er ist mehr als nur Begrüßung. Der Handschlag gibt uns Sicherheit, er signalisiert Offenheit und er lässt uns die Verfassung unseres Gegenübers im wahrsten Sinne des Wortes „fühlen“. Der Kontakt über die Faust oder den Ellenbogen ist hingegen ein hartes, kno-chiges Erlebnis.
Jetzt kommt aber zum Bedürfnis nach Sicherheit im sozialen Umgang auch das Bedürfnis nach Gesundheit hinzu. Wir müssen abwägen, was uns wichti-ger ist. Mit Erstaunen sehen wir, wer sich schon wieder mit Handschlag oder sogar mit Küsschen auf die Wangen begrüßt. Viele zucken dabei zusammen: Zu viel Nähe, zu viel Risiko! Die Infektionszahlen bestätigen das leider immer noch.
Was sollten wir also im Umgang miteinander berücksichtigen?
Nicht gleich von null auf 100. Im Kaufhaus-Fahrstuhl oder an der Super-marktkasse ruhig nochmals darauf aufmerksam machen, wenn der Abstand zu eng ist – das ist kein Spielverderben! Selbstverständlich können wir immer noch um mehr Abstand bitten, wenn wir uns eingeengt fühlen – ohne gleich als sozial auffällig zu gelten. „Ich fühle mich mit mehr als 3 Personen im Fahr-stuhl nicht wohl – ich nehme lieber den nächsten …“, „Entschuldigung, aber ich möchte gern noch vorsichtig sein,“ „Es wäre nett, wenn Sie einen etwas größeren Abstand einhalten würden.“
Falls wir uns unwohl fühlen, dürfen wir das sagen.
Unter Freunden, Bekannten oder im beruflichen Team ist eine Absprache leicht, z. B. „Ich bin noch nicht so weit, die Hand zu geben, lass uns damit bitte noch warten.“ Was aber, wenn die Chefin oder der Chef die Hand zur Begrü-ßung ausstrecken? Hier ist von Seiten der ranghöheren Person Sensibilität gefragt: „Wollen wir uns schon wieder die Hand zur Begrüßung geben?“ Hier wird eine ehrliche Antwort erwartet, denn die Höflichkeit ordnet sich selbstver-ständlich der Gesundheit unter. Wenn jemand noch nicht so weit ist, sollte das in diesen Zeiten nicht als Unhöflichkeit betrachtet werden, denn Abstand ist der neue Anstand!
Redaktion: Susanne Helbach-Grosser, TAKT & STIL, Imme Vogelsang, iv-imagetraining